Onlinewahlen

Derzeit findet an der Universität Göttingen eine Debatte darüber statt, ob die kommenden Hochschulwahlen online stattfinden sollen. Geführt wird diese Debatte auch im Lichte der Corona-Krise, die es fraglich macht, ob im Januar überhaupt Studierende in großen Zahlen in der Universität anwesend sein können. Vor diesem Hintergrund scheint die Möglichkeit einer Wahl von der eigenen Wohnung aus auf den ersten Blick attraktiv.

So hat die ADF sich in einer Pressemitteilung bereits für die Einführung ausgesprochen. Wir möchten in diesem Statement darlegen, warum wir eine solche Einführung für hochproblematisch halten würden, selbst wenn wir sicher wären, dass sie nur einmalig wäre. Dieses Thema ist im Übrigen kein Neues, so haben wir bereits in der Legislatur 2018/19 mit einem Antrag versucht, Online-Wahlen in der Studierendenschaft auszuschließen, konnten aber leider nicht die dafür notwendige 2/3-Mehrheit erreichen.

Woher kommt diese Ablehnung? (https://xkcd.com/2030/)

„Pro-Argumente“

Wir beziehen uns im folgenden zunächst auf die ADF-Pressemitteilung und dekonstruieren die dort genannten Argumente für Onlinewahlen.

„Onlinewahlen sind pandemiesicher“

Natürlich wäre die Infektionsgefahr bei Wahlen ohne Präsenz geringer. Das liegt allerdings nicht daran, dass man Wahlen im Vergleich zu anderen Veranstaltungen nicht angemessen durchführen kann, sondern daran, dass aktuell alle Präsenzveranstaltungen eine Infektionsgefahr aufweisen. Es gibt Möglichkeiten, auch eine „konventionelle Wahl“ (also Präsenzwahl, aber z.B. mit ausgeweiteter Briefwahl) unter strengen Hygienevorschriften durchzuführen und so die Infektionsgefahr zu minimieren. So könnte es etwa je nach Wetterlage auch Freiluft-Wahllokale in Pavillons geben oder Voranmeldungen für bestimmte Wahlzeiten, um zu lange Schlangen an den Wahllokalen zu vermeiden. Es gibt viele Möglichkeiten hier kreativ zu werden und aufgrund der großen Erfahrung, die die Universität aktuell im Umgang mit Präsenzveranstaltungen sammelt, denken wir, dass das vergleichsweise keine hohe Hürde ist.

In allen Bereichen müssen wir in der Krise teils sehr schwierige Abwägungen treffen. So werden etwa bei der Durchführung von Prüfungen zum Teil Präsenzformate durchgeführt und Demonstrationen werden weiterhin genehmigt, um das verfassungsgemäße Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schützen. Auch die zwei ordentlichen Sitzungen des Studierendenparlaments in dieser Legislatur fanden in Präsenzsitzung statt, da sich alle anderen Optionen nicht einer geschlossenen Zustimmung des Parlaments sicher sein konnten. Nicht zuletzt, weil es an Erfahrung mangelte und Zweifel daran herrschten, inwiefern die Parlamentarier*innen ihre demokratischen Rechte und Pflichten ausüben können.

Diese Beispiele zeigen, dass Kompromisse zum allgegenwärtigen „Stay at home“ durchaus zulässig sind, sofern der Grund dafür wichtig genug ist. Natürlich finden all diese Dinge nicht wie gewohnt statt, sondern mit Maßnahmen, die einer gewissen Kreativität bedürfen, um das bestehende Risiko so weit wie möglich zu minimieren.

„Onlinewahlen sind barierefrei“

Die ADF argumentiert hier mit dem Wahlgrundsatz einer allgemeinen Wahl. Bemerkenswert an dieser Stelle ist, dass die weiteren Wahlgrundsätze, nämlich „geheim„, „frei„, „gleich“ und „öffentlich/transparent“ nicht erwähnt werden. Möglicherweise ist dies so, da alle diese weiteren Grundsätze durch Onlinewahlen empfindlich beeinträchtigt werden. Aber dazu später mehr.

Es ist leider so, dass die Gebäude der Universität in Teilen nicht gerade ein Musterbeispiel an Barrierefreiheit sind. Wahlstellen sind allerdings in der Regel so platziert, dass sie für Personen mit Beeinträchtigungen zu erreichen sind. Trotzdem kann jeder zusätzliche Weg eine Hürde sein, das gilt allerdings wieder grundsätzlich bei Präsenz – klar gibt es da Probleme, aber sie sind bei Wahlen nicht größer als bei allem anderen. Und tatsächlich gibt es u.A. genau deshalb immer die Möglichkeit zur Briefwahl, bei der man Wahlunterlagen zugeschickt bekommt und die Möglichkeit hat flexibel innerhalb von 2 Wochen abzustimmen. Briefwahl stellt in diesem Fall den Wahlgrundsatz einer allgemeinen Wahl sicher. Der Grundsatz ist also durch die Abhaltung einer konventionellen Wahl nicht verletzt. Im Gegenteil, wir halten es nicht für ausgeschlossen, dass im Falle einer Onlinewahl systematisch Menschen von einer Wahl abgehalten werden, die aufgrund nachvollziehbarer Gründe (s.u.) nicht an der Wahl teilnehmen wollen und können.

Ergänzend sollte man noch darauf eingehen, dass eine Onlinewahl aber auch neue Barrieren mit sich bringt. Dazu zählen technische Ausstattung, Bedienkompetenzen und – fast noch wichtiger – ein ausreichendes Selbstvertrauen in den Umgang. In der Theorie ist das einfach, in der Praxis zeigt sich aber, wie schwierig das ist. Jede*r von uns, selbst die technikaffinsten, hat regelmäßig Probleme im Umgang mit Technik, was technikaffine Personen auszeichnet ist ihre Fähigkeit mit Problem umzugehen und nicht, dass sie keine Probleme haben. Ebenso hat man bei der Onlinewahl typischerweise keine Ansprechpersonen vor Ort, die das Verfahren unterstützen und evtl. den Ablauf der Wahl erklären können.

Was wir hierbei nicht in Abrede stellen wollen, ist das enorme Potential für Digitalisierung, auch bei der Durchführung konventioneller Wahlen. So könnten z.B. die Wahllisten in digitaler Form eingereicht werden oder die Wähler*innenverzeichnisse in digitaler Form vorliegen, sodass die Wähler*innen nicht auf ein Wahllokal festgelegt sind. Auch die Beantragung der Briefwahl könnte in digitaler Form erfolgen, sodass man nicht darauf angewiesen ist, dass die Wahlbenachrichtigung an die korrekte Adresse geschickt wird. Hier lässt sich viel in Richtung Effizienz, Einfachheit und Komfort machen, selbst beim aktuellen Urnenwahl-System.

„Onlinewahlen sind komfortabel“

Zunächst wird argumentiert, die Durchführung einer konventionellen Wahl wäre sehr teuer, da viele Arbeitsstunden dafür aufgewendet werden müssen, die nicht in andere Aufgaben der Hochschule gesteckt werden können. Aus einer rein ökonomischen Perspektive ist das richtig.

Zwar ist auch eine Onlinewahl nicht ohne Aufwand und Kosten, auch diese muss ausgeschrieben, vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet werden. Außerdem lässt der Onlinewahl-Anbieter Polyas sich die Durchführung so einer Wahl einiges kosten (genaue Zahlen kennen wir leider auch nicht, das wird zwischen der Universität und dem Unternehmen ausgehandelt), trotzdem ist die Onlinewahl am Ende gewiss günstiger.

Auch sind sie komfortabel für die Wahlhelfer*innen und die Wählenden. Die ADF argumentiert hier, dass man durchgängig wählen könne, man beim Wählen nicht an bestimmte Standorte gebunden sei und Fehler durch Wahlhelfende sich ausschließen ließen.

Soweit ist das auch richtig. Feste Wahllokale und viele Wahlhelfende sind aber nicht als Schikane für die Wähler*innen eingebaut, sondern bewusste Bestandteile einer Wahl um die Wahlgrundsätze zu wahren und schlussendlich die Legitimation der hierdurch gewählten Gremien zu gewährleisten. Sie stellen z.B. sicher, dass Wahlen richtig ablaufen, dass sie geheim sind. Der große Aufwand dient eben genau dazu, dass eine Wahlmanipulation so schwierig ist und im Zweifel auch auffällt. Die Menschliche Komponente ist dabei nicht (nur) das Problem, sondern der stabilisierende und stützende Faktor. Selbst im Vergleich mit Briefwahl gilt dieses Argument noch: Das Briefgeheimnis und die Dezentralität der Briefe machen erschweren eine Fälschung sehr stark. In diesem Sinne ist das also tatsächlich der „Preis der Demokratie“.

„Contra-Argumente“

Als nächstes beziehen wir uns auf die durch die ADF genannten Contra-Argumente und erklären, warum deren Gegenargumentation keine ist.

Onlinewahlen sind unsicherer

Die ADF beschreibt hier einige Beispiele, warum die IT-Systeme der Universität angreifbar sind. Unter anderem beziehen sie sich auf unsere Umfrage aus dem Januar 2018, bei der wir über den im Stud.IP dafür vorgesehenen Kontakt viele Studierende angeschrieben hatten. Bei Onlinewahlen gäbe es hier viele solcher oder ähnlicher Möglichkeiten. Die einfachsten Angriffe könnten über eine Phishing-Mail das Abstimmungsverhalten von Personen aufdecken. Gefährlichere Angriffe (wobei nichtmal unbedingt deutlich schwieriger umzusetzen), würden es auch ermöglichen einen Abstimmprozess vollständig zu simmulieren und dabei massenhaft Login-Daten abzugreifen und dann für diese Personen abzustimmen. Da hilft es auch nicht, dass der Wahlprozess gar nicht über die Uni-IT, sondern über den externen Anbieter Polyas läuft.

Das Argument, dass ein solcher Angriff zu kompliziert wäre, als dass Uniwahlen ein Ziel sein könnten, unterschätzt nicht nur massiv die Gefahr, sondern auch die Kompetenzen der Mitglieder unserer Universität. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass die Polyas-Server gehackt werden und das Wahlergebnis manipuliert wird. Für eine Phishing-Attacke wie die oben beschriebene braucht es aber letzlich nicht viel mehr als zu Wissen wie man eine Website zu baut und Emails verschickt.

An dieser Stelle noch eine sachliche Richtigstellung des ADF-Artikels: Ein „Bundesministerium für Sicherheit und Informationstechnik“ gibt es in Deutschland nicht, ein entsprechendes „Bundesamt„, welches eine Behörde im Geschäftsbereich des Innenministeriums ist, hingegen schon. Dieses ist dort gemeint.

Onliewahlen sind unruhiger

Hier argumentiert die ADF vorbildlich dafür, warum Onlinewahlen bereits prinzipiell eine schlechte Idee sind und das Wahlergebnis in letzter Konsequenz delegitimieren.

Eine Urnenwahl ist bewusst so konzipiert, dass man zum Zeitpunkt des Wahlprozesses ganz auf diesen fokussiert ist. So gibt es abgegrenzte Wahllokale, einzelne, nüchtern gehaltene Wahlkabinen, in denen penibel darauf geachtet wird, dass die Stimmabgabe unbeobachtet, also tatsächlich geheim, erfolgt. Es gibt genaue Bestimmungen dazu, in welchem Abstand zu den Wahllokalen Wahlwerbung nicht mehr zulässig ist, sodass die Stimmabgabe tatsächlich unbeeinflusst erfolgt. Schon bei einer Briefwahl können diese Dinge nicht mehr unbedingt aufrecht erhalten werden, allerdings bekommt man hier die Wahlunterlagen immerhin in die eigene Wohnung, die normalerweise von Beeinflussung relativ frei ist (solange die Mitbewohner*innen nicht gerade das Wahlkampflager für eine der antretenden Listen beherbergen).

Eine Onlinewahl hingegen kann überall durchgeführt werden. Von einigen Listen wurde bereits das Konzept der „Wahlparty“ vorgeschlagen: So wird auf einer Party ein Laptop hingestellt und jede*r, die*der auf der Party für die veranstaltende Liste stimmt, bekommt ein Freigetränk (oder auch den ganzen Abend, je nach Finanzstärke der jeweiligen Liste). Als unmittelbare Beeinflussung ist das natürlich sehr problematisch und könnte auch verboten werden, wobei wohl kaum eine Durchsetzbarkeit gegeben wäre. Abgeschwächte Formen davon lassen sich aber beliebig viele finden, zu den subtilsten Varianten gehört z.B. so genanntes Nudging. Wenn z.B. direkt hinter dem Waffelstand ein Laptop steht, an dem man direkt abstimmen kann, dann sehen wir dahin auch ohne irgendeinen Zwang bereits ein Problem.

Mit einer freien Wahl hat das alles nicht mehr viel zu tun. Damit ein Walergebnis glaubwürdig und damit legitim ist, ist es unabdingbar, dass die Wahlen nach Möglichkeit auf bewussten, im besten Fall auch informierten, Wahlentscheidungen beruhen. Selbstverständlich wird es solche Wahlentscheidungen auch im Fall von Onlinewahlen weiterhin geben. Und selbstverständlich gibt es auch bei einer Urnenwahl Menschen, die eher zufällig etwas ankreuzen (unser erster Einzug ins Studierendenparlament 2017 ist der beste Beweis dafür).

Allerdings wird die Quote derer, die ihre Entscheidung entweder unter dem unmittelbaren Eindruck massiver Beeinflussung oder spontan und vollkommen uninformiert treffen, erheblich größer sein.

Weiter argumentiert die ADF damit, dass den studentischen Vertreter*innen versprochen wurde, dass im System implementiert würde, dass die Stimme nach der erstmaligen Abgabe noch verändert werden könne, um so eine „unfreie“ Stimmabgabe im Nachhinein zu korrigieren. Uns liegt im Gegenteil eine Stellungnahme der Rechtsabteilung vor, aus der hervorgeht, dass so eine „Stimmkorrektur“ nicht implementiert werden wird. Dies ist schon technisch beim Polyas-System gar nicht möglich, da dies den Anforderung an die von der ADF selbst erwähnten Zertifizierung widersprechen würde. Eine einmal abgegebene Stimme, etwa im Vollrausch bei einer der oben beschriebenen „Wahlpartys“ bleibt also verbindlich.

Onlinewahlen sind unübersichtlicher

Bei den vor einigen Wochen durchgeführten Testwahl konnten wir sehen, dass die „Usability“, also die Nutzer*innenfreundlichkeit einer herkömmlichen „Papierwahl“ sogar noch Luft nach unten hat, nämlich wenn versucht wird, die entsprechenden Zettel in einer langen, statischen Liste auf einem Computer- oder gar Smartphone-Bildschirm darzustellen.

Die zahlreichen Hinweise der Testwähler*innen könnten hier sicherlich noch für Verbesserungen sorgen, etwa durch Inhaltsverzeichnisse, ausklappbare Listen oder Suchfunktionen (ja, all das war in der Testversion nicht vorhanden). Das Problem wird allerdings bleiben, dass es nicht möglich sein wird, alle Listen gleichzeitig abzubilden. Somit hätten die ersten Listen immer einen systematischen Vorteil, da sie als erstes angezeigt werden. Abhilfe könnte eine zufällige Präsentation der Wahlvorschläge schaffen. Hier könnte eine Onlinewahl also im Hinblick auf den Wahlgrundsatz einer gleichen Wahl (im Sinne der gleichen Chancen für alle Wahlvorschläge) also sogar einen Mehrwert bieten. Leider ist eine solche zufällige Präsentation sowohl im Polyas-System als auch unserer Wahlordnung derzeit nicht vorgesehen.

Wahlbeteiligung

Da wir oben an einigen Stellen die Legitimität des Wahlergebnisses erwähnt haben, müssen wir auch auf die Wahlbeteiligung zu sprechen kommen, da eine hohe Wahlbeteiligung häufig als ein Argument für die Legitimität eines Wahlergebnisses herangezogen wird.

Wie sich eine Onlinewahl bei uns auf die Wahlbeteiligung auswirken wird, ist reine Spekulation. Vergleichbar könnte hier aber die Beteiligung an Online-Umfragen sein. So gab es zu Anfang der Corona-Krise eine Umfrage der Universität zum Thema „technische Voraussetzungen im SoSe 20“, also einem Thema, welches tendenziell sogar mehr Personen anspricht als die Themen, mit denen die Hochschulgruppen üblicherweise im Wahlkampf aufwarten. An dieser Umfrage hatten bei einem Befragungszeitraum von 10 Tagen 17,95% der Studierenden teilgenommen – ein Rücklauf, der für rein online durchgeführte Umfragen schon ungewöhnlich hoch ist.

Bei der Einführung von POLYAS zeigt sich ein gemischtes Bild, oft steigt die Wahlbeteiligung erstmal unmittelbar an, fällt aber auch oft auch wieder etwas ab. An der Universität Jena, an der 2018 Onlinewahlen für die Wahlen zum Studierendenrat eingeführt wurden, hatte sich die Beteiligung von 8,8% auf 21,4% mehr als verdoppelt. In der deutschlandweiten Fachvertretung „Gesellschaft für Informatik e.V.“ hat sich bei der Umstellung von Briefwahl auf Onlinewahl die Wahlbeteiligung um 50% erhöht, allerdings auf ein Niveau, das wenige Jahre davor noch selbstverständlich war. Seitdem ist sie wieder leicht gesunken.

Dagegen betrug die Wahlbeteiligung bei den vergangenen Hochschulwahlen (Wahlzeitraum wie üblich vier Tage) 28,34%, ein Wert, der in Göttingen zwar üblich ist, deutschlandweit aber mit Abstand zu den höchsten gehört. Eine ähnliche Steigerung wie in Jena wäre also in Göttingen eher nicht zu erwarten.

Inwiefern diese beiden Prozentpunkte miteinander vergleichbar sind, ist natürlich fraglich. Anders herum ist natürlich auch bei einer Urnenwahl während des „Hybridsemesters“ mit einem massiven Einbruch der Wahlbeteiligung zu rechnen, wenn die meisten Veranstaltungen online stattfinden und dadurch deutlch weniger Studierende in den Gebäuden der Universität sind.

Zusammenfassung

Wie weiter oben beschrieben gibt es die fünf Wahlgrundsätze, deren Erfüllung ein legitimes Wahlergebnis sicherstellen soll. Nämlich allgemein, geheim, frei, gleich und öffentlich/transparent. Im folgenden fassen wir nochmal zusammen, welche Auswirkung eine Onlinewahl auf diese Grundsätze hätte.

Allgemein

Die ADF ist der Meinung, dieser Wahlgrundsatz wäre bei einer Onlinewahl in Coronazeiten stärker erfüllt. Tatsächlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass eine Onlinewahl ein anderes Barrierenprofil aufweisen. Allerdings lassen sich auch Urnenwahlen in Verbindung mit Briefwahlen weitestgehend barrierefrei gestalten und ein Ausschluss von der Wahl so vermeiden. Wir sehen hier ein vergleichbares Erfüllungsniveau.

Geheim

Für die Sicherstellung der geheimen Wahl ist bei einer Onlinewahl der*die Wählende zuständig. Er*Sie muss sich darauf verlassen, dass das eigene Endgerät nicht kompromittiert (also zum Beispiel gehackt) ist, er*sie nicht auf eine Phishing-Seite hereingefallen ist oder beim Abstimmen während der Vorlesung nicht gerade jemand aus der Reihe dahinter über die Schulter lugt. Letztendlich kann all das nicht immer sichergestellt sein. Der Wahlgrundsatz ist also definitiv weniger deutlich erfüllt.

Frei

Wenn eine geheime Wahl nicht sichergestellt ist, ist potentiell auch immer Freiheit eingeschränkt. Das beste Beispiel dafür sind die oben beschriebenen Möglichkeiten zur Wahlbeeinflussung (z.B. „Wahlpartys“, die darauf beruhen, dass man bei der eigenen Stimmabgabe beobachtet wird, um dafür eine Gegenleistung zu erhalten).
Es muss aber gar nicht so extrem sein. Es reicht schon, wenn an einem Wahlkampfstand der Link zur Wahl steht und man ermuntert wird, doch jetzt direkt abzustimmen. Auch eine solche Abstimmung unter dem direkten Einfluss der Wahlwerbung ist bereits eine unfreie Wahl.

Gleich

Die Gleichheit der Wahl betrifft zum einen die Wähler*innen, die alle genau eine Stimme haben. In dieser Hinsicht ist dieser Wahlgrundsatz weitestgehend erfüllt, außer jemand hackt das System und manipuliert das Wahlergebnis. Ein Problem bei Onlinewahlen ist, dass sowas deutlich schlechter auffällt und niemand ein Interesse an Transparenz hätte, insbesondere auch nicht der Anbieter POLYAS.
Schwerwiegender wirkt sich die Onlinewahl auf den Grundsatz der Gleichheit der Wahlvorschläge aus, da es technisch nicht möglich ist, alle Wahlvorschläge gleichzeitig darzustellen und alle aktuellen Lösungen schlechter abschneiden als die Papierwahl.

Daneben ist die Gleichheit der Wahl zum Studierendenparlament schon durch das in der Satzung vorgeschiebene Sitzzuteilungsverfahren verletzt, weshalb wir der vorletzten Wahl – leider ohne Erfolg – widersprochen hatten und uns auch im Parlament für eine Änderung einsetzen. Abstimmungen hierüber scheitern jedoch seit vielen Jahren unter anderem am Widerstand der ADF. Auch hier zeigt sich leider, dass dieser Gruppe an diesem Wahlgrundsaz nicht viel gelegen ist.

Öffentlichkeit

Der vermutlich schwerwiegendste Eingriff ist der Eingriff in den Wahlgrundsatz der Öffentlichkeit bzw. Transparenz der Wahl. Es muss lückenlos nachvollziehbar sein, was mit der eigenen Stimme geschieht und wie sich das Wahlergebnis aus den abgegebenen Stimmen zusammensetzt.
Das ist bei einer Onlinewahl de facto unmöglich und selbst in der Theorie bisher nicht in vergleichbarem Maße gewährleistet. Selbst wenn der Quellcode offen einsehbar wäre – was er nicht ist – wäre die Wahlhandlung prinzipiell nur für Personen mit den entsprechenden IT-Kenntnissen nachvollziehbar, was ein klares Transparenzdefizit ist. Zwar bietet POLYAS eine Software zur Überprüfung des Wahlergebnis, allerdings liegen sowohl diese Software, als auch die bei der Wahl produzieren Daten unter der Kontrolle von POLYAS, somit hätte der Anbieter sogar gleich zwei Möglichkeiten zu manipulieren.

Fazit und weitere Informationen

Es gibt noch zahlreiche weitere, eher technische, Argumente gegen Onlinewahlen, aber wir wollen uns hier zunächst auf die genannten beschränken.

Auf einer Metaebene übt der Wissenschaftskommunikator Harald Lesch in diesem Youtube-Video Kritik an elektronischen Wahlen. Er bezieht sich dabei auf Wahlcomputer, die Argumente sind jedoch sogar noch in verschärfter Form auf Onlinewahlen anwendbar.

Eine Sammlung mit Links zu weiteren Informationen gibt es z.B. in diesem Pad.

Wir hoffen, wir konnten verdeutlichen, warum wir diesen Wahlen so fundamental kritisch gegenüber stehen. Wir werden uns deshalb in der nächsten Sitzung des Studierendenparlaments vehement gegen die Einführung aussprechen und hoffen, dass wir bis dahin auch andere Fraktionen wie etwa die ADF zur Vernunft bringen können.

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